Recruiting in der Coronakrise (Teil 2): So schätzen Personaler und Bewerber die Lage ein

Inhaltsverzeichnis
Wie bewerten Personaler die Auswirkungen der Krise auf ihr Business und ihr Unternehmen? Und wie nehmen eigentlich Bewerber die aktuelle Lage wahr?
Zwei Umfragen möchten hier Klarheit schaffen:
- meta HR hat zusammen mit stellenanzeigen.de Verantwortliche aus dem Recruiting und Personalmarketing sowie HR-Generalisten nach ihrer Einschätzung befragt.
- Softgarden und das Personalmagazin haben in ihrer Studie den Fokus vor allem auf die Wahrnehmung der Bewerber gelegt.
Fassen wir vorab die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Im Nachgang werden diese natürlich differenzierter betrachtet.
- Weniger aktiv Suchende: Die Bewerbungszahlen gehen zurück.
- Stark verunsicherte Bewerber treffen auf eine geringere Nachfrage seitens der Unternehmen.
- Recruiting-Prozesse werden zwar digitaler, dennoch scheint es viele Hürden zu geben.
Die Bewerbungszahlen gehen zurück
Fast jedes zweite Unternehmen verzeichnet einen Rückgang der Bewerbungseingänge. Besonders kleinere Mittelständler (51 bis 250 Mitarbeitende) haben zu kämpfen. Hier gab es knapp 52 % weniger Bewerbungen. Aber auch größere Mittelständler mit einer Mitarbeitendenzahl bis zu 1.000 Personen kommen alles andere als gut weg. Sie beklagen 45 % weniger Bewerbungen.

Quelle: Recruiting in der Coronakrise. Eine Studie zu Krisenreaktionen und Auswirkungen auf die Personalgewinnung von stellenanzeigen.de und der meta HR Unternehmensberatung (Berlin / München 2020), abzurufen unter https://recruitingnews.stellenanzeigen.de/recruitingindercoronakrise

Quelle: Recruiting in der Coronakrise. Eine Studie zu Krisenreaktionen und Auswirkungen auf die Personalgewinnung von stellenanzeigen.de und der meta HR Unternehmensberatung (Berlin / München 2020), abzurufen unter https://recruitingnews.stellenanzeigen.de/recruitingindercoronakrise
Die Gründe liegen nach Einschätzung der Personaler vor allem darin, dass
- die Wechselwilligkeit der Talente in der Krise abgenommen hat (62 %).
- potenzielle Kandidaten mit anderen Dingen beschäftigt sind (59 %).
- deutlich weniger Stellen geschaltet wurden (54 %).
Die Wechselwilligkeit hat abgenommen, aber latent Suchende sind weiterhin offen
Die Wechselbereitschaft hat grundsätzlich abgenommen. Das bestätigt eine Befragung des Trendence Institutes von akademischen und nicht-akademischen Fachkräften, die einen Rückgang der Zahl der aktiv Jobsuchenden konstatiert.

Quelle: Trendence Report 2020: Chancen & Stolperfallen während Corona. Abzurufen unter: https://www.trendence.com/reports/arbeitsmarkt/chancen-stolperfallen-hr-management-waehrend-der-corona-krise
Nichtsdestotrotz suchen weiterhin 40% der berufserfahrenen Akademiker und Akademikerinnen latent eine neue Position. Ein Wert, der übrigens durch die Corona-Pandemie unbeeinflusst ist. Hier bietet sich also immer noch großes Potenzial für die Direktansprache der Talente.
Eindruck der HRler: Prioritäten bei Kandidaten ändern sich
59 % der Personaler vermuten, dass potenzielle Kandidaten derzeit eher mit anderen Dingen als mit der beruflichen Neuorientierung beschäftigt seien. Diese Einschätzung dürfte vor allem auf die Auswirkungen und Einschränkungen durch die Pandemie zurückzuführen sein.
Kindertageseinrichtungen oder Kindertagespflege dürfen nun langsam in reduziertem Umfang besucht werden. Auch der Schulunterricht findet bis zu den Sommerferien vielerorts erst einmal nur stundenweise statt. Damit hält die Kinderbetreuung viele Eltern in Atem. Hinzukommen Personen, die derzeit die Pflege von Angehörigen selbst organisieren müssen. Nämlich dann, wenn Einrichtungen der Tages- und Nachtpflege aufgrund des Coronavirus geschlossen haben oder Betreuungskräfte aus dem Ausland noch nicht wieder unterstützen dürfen.
Und selbstverständlich dürften auch die Erkrankung selbst sowie Quarantänezeiten eine Rolle spielen. Letztlich können die Gründe höchst unterschiedlich sein. Ein möglicher Jobwechsel, sofern nicht existenziell erforderlich, könnte demnach zu diesem Zeitpunkt auf der Prioritätenliste nach hinten rutschen.
Neue Bedingungen erschweren Jobwechsel für Talente
Ganz anders sieht es allerdings für jene aus, die durch die Auswirkungen der Krise einen neuen Job suchen. Das sind immerhin knapp 30 % der durch Softgarden befragten Bewerber. Betriebsbedingte Kündigungen, fehlende Beschäftigungsperspektiven, Kurzarbeit oder ausbleibende Freelance-Aufträge zwingen sie zu einem beruflichen Neustart.
Dass dies aktuell alles andere als einfach ist, unterstreichen die Kommentare der Bewerber. Einstellungsstopps, ausbleibende Rückmeldungen oder die gestiegene Nachfrage auf der Bewerberseite erschweren die Jobsuche massiv. In den Statements kommt bisweilen sogar eine gewisse Aussichtslosigkeit zum Ausdruck. Einmal mehr zeigt sich, dass die Krise nicht nur eine wirtschaftliche, sondern zugleich eine psychische Belastungsprobe ist.
- „Ich bin derzeit arbeitssuchend mit Kind und habe jetzt (a) noch mehr Probleme einen Job zu finden und (b) Schwierigkeiten mit der Arbeitsagentur, da ich dem Arbeitsmarkt aufgrund der fehlenden Betreuung formal ja gar nicht zur Verfügung stehe.“
- „Die Krise hat durch den geplanten Job nach dem Studium einen Strich gemacht.“
- „Eine zugesagte Stelle wurde kurz vor Antritt zurückgezogen.“
- „Ich habe meinen Job verloren, bin von morgens bis Abend mit meiner Tochter zusammen. Ihren Geburtstag und meinen verbringen wir zu zweit. Finanziell nun vom Jobcenter abhängig, soziale Kontakte sind eigentlich kaum vorhanden.“
- „Automobilbranche inklusive all ihrer Zulieferbetriebe steht. Arbeitslosigkeit steigt/ wird steigen, Arbeitskräftebedarf konzentriert sich auf junge Menschen mit Abschluss. Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt nimmt zu. Ich bin Quereinsteiger und 57 Jahre alt.“
Geringere Nachfrage seitens der Unternehmen
Mehr als Zweidrittel der befragten Bewerber hat für sich wahrgenommen, dass die Unternehmen weniger Stellen ausschreiben. Eine Aussage, die sich mit der Einschätzung vieler Personaler deckt. Klar beziffert wird dies durch den Indeed-Job-Index, der die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf den Arbeitsmarkt anhand der Stellenausschreibungen auf Indeed darstellt. Dieser verzeichnet für März und April einen signifikanten Rückgang.
Ohnehin scheinen viele Unternehmen ihre Recruiting- und Personalmarketingaktivitäten im Allgemeinen deutlich zurückzufahren oder temporär einzufrieren. 57 % der insgesamt 130 HR-Verantwortlichen, die an der Studie von Softgarden und dem Personalmagazin teilnahmen, rekrutieren deutlich weniger oder nur noch dringend benötigte Mitarbeitende. Ein ähnliches Bild zeichnet die Blitzumfrage von Wolfgang Brickwedde von Anfang März.
Die von meta HR und stellenanzeigen.de befragten HRler gehen davon aus, dass diese Zurückhaltung durchaus noch weiter anhalten wird. Bis zum Jahresende erwartet die Mehrheit von ihnen Budgetkürzungen und damit einhergehend reduzierte Aktivitäten im Bereich Recruiting und Personalmarketing. Vor allem Karrieremessen – sobald sie wieder durchgeführt werden können – sollen erstmal kein Thema sein. Größere Chancen sehen die Personaler bei Stellenausschreibungen in Online-Jobbörsen (generalistisch und spezialisiert) sowie beim Active Sourcing.
Remote Recruiting könnte besser laufen
Von heute auf morgen Remote Recruiting? Gar nicht so einfach, stellen Personaler und Bewerber fest. Der Übergang vollzieht sich bei einigen vorsichtig bis holprig. Grund dafür sind vor allem technische Hürden.
Fast 20 % würden gerne weiter rekrutieren. Sie schaffen es jedoch nicht, auf virtuelle Verfahren umzustellen, fand die Studie von Softgarden und dem Personalmagazin heraus. Immerhin knapp 30 % haben ihre Prozesse teilweise umgestellt. Allerdings erfolgt auf dieser Basis kein Vertragsangebot. Die komplette Umstellung auf virtuelle Verfahren wagen 36 %.
Bislang fehlt wohl die Erfahrung auf beiden Seiten. Das begründet die Behutsamkeit im Vorgehen. Dabei sind Video- und Telefoninterviews als Ersatz für Präsenzinterviews nur eine Komponente.
Das Onboarding schafft wiederum ganz eigene Herausforderungen. 71 % der Recruiter können sich zwar ein virtuelles Onboarding vorstellen, aber 69 % haben keinerlei Erfahrungen damit. 67 % der Bewerber stehen einer digitalen Einführung in den neuen Job ebenfalls offen gegenüber. Erstaunlich – vor allem vor dem Hintergrund, dass viele bereits den unpersönlichen Charakter von virtuellen Jobinterviews bemängeln.
Jobinterviews: Ist der persönliche Kontakt unverzichtbar?
Auf das persönliche Kennenlernen, das in Zeiten von Kontaktverbot und Mindestabstand bewusst gemieden wurde, möchte ein großer Teil der Bewerber im Vorstellungsgespräch nicht verzichten. Einige fühlen sich durch virtuelle Jobinterviews sogar benachteiligt:
- „Neue Situation sorgt für Spannungen auf beiden Seiten. Es wird zu wenig auf die Personen eingegangen, alles sehr kühl und distanziert.“
- „Schwierige Situation, weil man durch die Kamera nicht den ‚echten‘ Eindruck einer Person gewinnen kann.“
Manche würden Sicherheitsmaßnahmen in Kauf nehmen, um ein persönliches Gespräch stattfinden zu lassen. Ob hier jedoch eine größere Wohlfühlatmosphäre aufkommt, ist fragwürdig.
- „Nicht auf persönliche Gespräche verzichten, das geht auch mit 1,5 o. 3 m Abstand.“
- „Mit entsprechenden Schutzmaßnahmen wie Atemschutzmaske oder Visiere wie vorher verfahren.“
Doch es gibt durchaus auch Bewerber, die die virtuelle Alternative zu schätzen wissen und Vorteile sehen:
- „Ich finde es ist eine absolut zeitgemäße Alternative zu persönlichen Gesprächen.“
- „Positiv für die Umwelt, effizient, ökonomisch.“
Die Vorstellungen gehen also auseinander. Sehr wahrscheinlich ist jedoch, dass sich das Recruiting zunehmend digitalisieren wird – Startschwierigkeiten hin oder her. In Zukunft möchten Recruiter zum Beispiel Folgendes ändern:

Quelle: Doppelperspektivische Umfrage: Recruiting in Zeiten von Corona (gemeinsam mit dem Personalmagazin). Abzurufen unter: https://go.softgarden.de/recruitinginzeitenvoncorona
Talente bitten um mehr Transparenz im Recruitingprozess
- Wie sieht der Bewerbungsablauf momentan aus?
- Gibt es Besonderheiten, die beachtet werden müssen?
- Wann kann es zu Verzögerungen kommen?
Talente wünschen sich Klarheit. Diesem Wunsch können Arbeitgeber im Grunde sehr einfach nachkommen. Ein Hinweis auf der Karriereseite oder ein Vermerk in der Stellenanzeige würde Interessenten schon deutlich weiterhelfen.
Sind Verzögerungen nicht auszuschließen, sollten Recruiter Bewerber zwischenzeitlich auf dem Laufenden halten. So wissen diese stets, woran sie sind. Und Sie können sich bereits im Prozess als kommunikationsstarker Arbeitgeber beweisen.
Chancen für die Personalgewinnung
So trüb das Bild im Recruiting derzeit aussehen mag, es gibt auch echte Chancen. Und diese werden übrigens ebenso von den Bewerbern erkannt und formuliert:
- „Strategische Personalgewinnung – es sind nun wieder mehr Talente und Leistungsträger*innen auf dem Arbeitsmarkt, das können Unternehmen genau JETZT nutzen.“
- „Offen sein neue Mitarbeiter einzustellen. Gerade jetzt schauen sich viele, qualifizierte Menschen nach neuen Chancen um. Da kann der Arbeitgeber nur profitieren und sollte zugreifen.“
Unser Appell ist unverändert: Fragen Sie sich, wie nachhaltig Sie Ihr Recruiting gestalten möchten und können. Ein Shutdown in der Personalgewinnung wird dazu führen, dass in Zukunft wichtige Fachkräfte fehlen. So schlussfolgert ein Bewerber treffend: „Einstellung langfristig ansehen.“ Dem schließen wir uns an. So schwer die Lage gerade auch sein mag, lassen Sie uns versuchen, positiv in die Zukunft zu schauen.
Hinweis: Obgleich in diesem Beitrag nicht immer geschlechtsneutrale Formulierungen verwendet werden bzw. Schreibweisen, die die Gleichstellung der Geschlechter zum Ausdruck bringen, sind natürlich Männer und Frauen sowie Intersexuelle gleichermaßen gemeint.
Autorin: Tina Schwarze
Titelbild: Unsplash: © Adam Niescioruk
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