8. September 2022 3 Kommentare

Recruiting 2022: Sind Arbeitgeber gut genug aufgestellt?

Der Mangel an Fach- bzw. Arbeitskräften hat in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht. Knapp die Hälfte der Unternehmen, so geht es aus den Ifo Konjunkturumfragen 2022 hervor, waren im Juli durch fehlendes Personal beeinträchtigt. Wie stellen sich Arbeitgeber nun konkret im Recruiting auf, um dem entgegenzuwirken? Dazu liefert der Index Recruiting-Report 2022 Anhaltspunkte und wirft zugleich Fragen auf.

    „Immer mehr Unternehmen müssen ihre Geschäfte einschränken, weil sie einfach nicht genug Personal finden“, mahnt Stefan Sauer, Arbeitsmarktexperte am Ifo Institut in München. „Mittel- und langfristig dürfte dieses Problem noch schwerwiegender werden.“ Die Folgen des Mangels wirken unmittelbar: Bei vielen Beschäftigten nehmen die Arbeitsverdichtung und Überlastung im Alltag zu. Zeitweise mag das zu stemmen sein. Doch wie lange können und wollen Arbeitnehmende damit umgehen, wenn keine Entlastung in Sicht ist? Es liegt nahe: Anhaltend schlechtere Arbeitsbedingungen führen zu weiteren Ausfällen und Abgängen, somit – mittel- oder langfristig – zu einem noch größeren Engpass.

    Dass die Personalknappheit ein branchenübergreifendes Problem ist, zeigt sich in den unterschiedlichsten Auswirkungen, die jedem von uns schon mal begegnet sein dürften:

    • Wer für den Sommerurlaub eine Flugreise plante, sah sich mit teils chaotischen Zuständen, Flugausfällen und langen Wartezeiten am Flughafen konfrontiert. Der Grund: Der Mangel an Boden- und Kabinenpersonal.
    • Auch die Baubranche ächzt: Die Auftragsbücher sind prall gefüllt. Allen Anfragen kann jedoch nicht nachgekommen werden. Bereits heute fehlt es etwa an 190.000 Elektroinstallateur*innen, Sanitärtechniker*innen, Metallbauer*innen oder Schreiner*innen.
    • In Restaurants, Gaststätten und ebenso im Einzelhandel sind die Aushänge nicht zu übersehen: Gäste und Kund*innen werden über eingeschränkte Öffnungszeiten informiert. Zugleich wird händeringend nach Teamverstärkung gesucht.
    • Eltern können nur bedingt in den Job zurückkehren. Das Angebot an Betreuungsplätzen für Kinder ist noch zu häufig unzureichend. Doch ohne Erzieher*innen lässt sich das Angebot nun mal nicht aufstocken.
    • Nicht zuletzt die prekäre Situation im Gesundheitswesen, die hinlänglich bekannt ist: Sei es in Form des eingeschränkten Betriebes von Fachabteilungen oder des Personals, das am Limit arbeitet. Bis 2035 werden voraussichtlich knapp 1,8 Millionen Kräfte fehlen – vor allem in der Kranken- und Altenpflege, wie die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC prognostiziert.

    Wie begegnen Arbeitgeber der Situation?

    Nun sehen wir an unseren Kund*innen, wie viele sich schon tüchtig ins Zeug legen. Sie hinterfragen bewusst ihre Recruiting-Aktivitäten und suchen ergänzend oder alternativ nach neuen Ansätzen. Weil sie genau wissen, dass sie es sind, die aktiv(er) werden müssen, um passende Kandidat*innen zu finden. Und weil sie etwaige Engpasssituationen in den Unternehmen nicht hinnehmen.

    Doch wie sieht es in der Breite aus? Wie stellen sich Arbeitgeber in Deutschland auf, um der Arbeitsmarktsituation zu begegnen? Anhaltspunkte gibt der Index Recruiting-Report 2022. Dieser fasst die Ergebnisse einer Online-Umfrage aus dem Zeitraum Dezember 2021 bis Januar 2022 zu den aktuellen Herausforderungen und Trends in der Personalarbeit zusammen. 568 Unternehmen aus über 15 Branchen nahmen teil, u. a. aus dem verarbeitenden Gewerbe, dem Gesundheits- sowie Sozialwesen, dem Dienstleistungsbereich und dem Handel. Rede und Antwort standen vorrangig Personen aus der Personalabteilung (61,4 %) sowie der Geschäftsführung bzw. dem Vorstand (29,1 %).

    Das Bild stellt sich mittelprächtig dar. Obwohl der Bedarf an Mitarbeiter*innen nach Einschätzung der Befragten in knapp 2/3 der Unternehmen zunehmen wird, bewertet annähernd jedes zweite Unternehmen das eigene Recruiting als unzureichend. 45 % ist durchaus sicher, mit den heutigen Standards mithalten zu können. Bleibt zu hinterfragen, was als Standard gewertet wird und, ob dieser Standard vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels ausreicht. Doch was ist der Grund dafür, dass so vielen Befragten das Vertrauen in das eigene Recruiting fehlt?

    Liegt es an der Zuständigkeit in den Unternehmen? Index fragte unter anderem, wie viele Mitarbeiter*innen sich in einem Unternehmen mit Recruiting befassen. Auskunft gaben Vertreter von Kleinst- bis Großunternehmen. Den Löwenanteil bildeten mit knapp 48 % mittelständische Unternehmen bis 249 Beschäftigte.

    Quelle: Index Internet und Mediaforschung GmbH | Index Recruiting-Report: Digitalisierung macht den Unterschied 2022 | Juni 2022


    In 35 % der Unternehmen wird das Recruiting von einer Person gestemmt. Bei 59 % sind es 2 bis 5 Mitarbeiter*innen und bei knapp 7 % sind es 6 Personen oder mehr. Erstaunlich ist, dass 172 Teilnehmende keine Antwort auf die Frage gaben. Womöglich sind die Zuständigkeiten in diesen Unternehmen nicht eindeutig definiert. Letztlich heißt „sich befassen“ nicht zugleich, für ein Thema verantwortlich sein. Vergessen wir zudem nicht: Recruiter*innen zählen ebenfalls zu den Fachkräften, die dringend gesucht werden. Sind sie für Unternehmen nicht verfügbar, können sie nicht rekrutieren.

    Welche Recruiting-Instrumente werden gewählt?

    Stellenanzeige und Karriere-Website führend

    Wenn es um die Personalgewinnung geht, führt 2022 noch kein Weg an der Stellenanzeige vorbei. Sie ist im Recruiting fest etabliert. Für knapp 80 % der befragten Unternehmen ist sie nach wie vor das wichtigste Recruiting-Instrument. Dabei hat die Online-Stellenanzeige eindeutig die Nase vorn. Sie trägt gemäß Umfrage am häufigsten (38 %) dazu bei, dass Mitarbeitende ihren Weg zum neuen Arbeitgeber finden.

    Quelle: Index Internet und Mediaforschung GmbH | Index Recruiting-Report: Digitalisierung macht den Unterschied 2022 | Juni 2022


    Unterschätzt ist sicherlich noch das Potenzial der Karriere-Website. Nur jedes fünfte Unternehmen gibt an, über die eigene Webpräsenz als Arbeitgeber Personal gewinnen zu können. Wer seine Karriere-Website auf den Prüfstand stellt und ganz im Sinne der Kandidat*innen optimiert, wird die Chancen gewiss steigern können. Denn letztlich suchen hier potenzielle Bewerbende nach Informationen über den Arbeitgeber und dessen Leistungen, über das Arbeitsumfeld und wünschen sich Einblicke in den Unternehmensalltag. Wer sich gut abgeholt fühlt, wird sich eher bewerben.

    Social-Media-Recruiting ist Hoffnungsträger

    Als weitere Erfolg bringende Maßnahmen schließen sich die Print-Stellenanzeige (18,4 %), Personalvermittlung und Headhunting (17,8 %), Active Sourcing (17,4 %) und Mitarbeiterempfehlungen (16,2 %) an. Das Recruiting über Social Media (z. B. Facebook, Instagram, TikTok) führt in knapp 16 % zur Einstellung, gilt aber als großer Hoffnungsträger. Denn 56 % der Umfrageteilnehmenden sehen das Social Recruiting via Facebook, Twitter, Instagram o. ä. Plattformen als ein Trendthema der nächsten 12 Monate. Ob man bei diesem Weg noch von einem Trend sprechen sollte, sei mal dahingestellt. Auf jeden Fall steht das Thema Social-Media-Recruiting offenbar bei Unternehmen jeglicher Größe auf der Agenda ganz weit oben.

    Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen genießen die sozialen Netzwerke für die Personalgewinnung sogar höchste Priorität. Darüber hinaus setzen kleinere Unternehmen auf die Karriere-Website und Mitarbeiterempfehlungsprogramme als zentrale Maßnahmen. In den großen Unternehmen hat sich das Social-Media-Recruiting bereits etabliert. Die Priorisierung zeigt, dass soziale Netzwerke weiterhin elementarer Bestandteil der Recruiting-Strategie sind.

    Quelle: Index Internet und Mediaforschung GmbH | Index Recruiting-Report: Digitalisierung macht den Unterschied 2022 | Juni 2022

    Candidate Journey analysieren und Daten nutzen

    Insbesondere mittelständische und große Unternehmen haben erfreulicherweise erkannt, dass Maßnahmen nur dann zum Erfolg beitragen können, wenn Recruiting ganzheitlich gedacht ist. Insofern steht für etwa 30 % der Mittelständler und sogar für knapp 40 % der großen Unternehmen die Optimierung der Bewerbungsprozesse/Candidate Journey als Topthema auf der Agenda.

    Maßnahmen können noch so gut sein, häufen sich nichtsdestotrotz Bewerbungsabbrüche, sind Defizite in der Candidate Journey aufzuspüren. Vielleicht ist die Möglichkeit zur Bewerbung zu kompliziert oder zu aufwendig. Vielleicht dauern die Rückmeldungen auf eine Bewerbung zu lange oder die Bewerberkommunikation wirkt nicht ausreichend wertschätzend. All das gilt es aufzuarbeiten, um Defizite schleunigst zu beheben. Kein Unternehmen kann es sich leisten, Bewerbende durch Nachlässigkeit zu vergraulen.

    Nun scheint ein analytisches Vorgehen im Recruiting noch nicht durchweg auf der Tagesordnung zu stehen. Knapp 47 % der Unternehmen nutzt zur Entscheidungsfindung im Personalmarketing verlässliche Daten zum Arbeitsmarkt und zu Wettbewerbern, wie es die Studie benennt. Demgemäß treffen 53 % ihr Urteil auf Basis anderer Beweggründe. Teilweise mag es sich dabei immer noch um das Bauchgefühl oder Gewohnheiten handeln. Ganz nach dem Motto „Das haben wir schließlich immer so gemacht …“ 😊

    Dabei liefern Analysen und Reports ein klares Bild und offenbaren sehr deutlich, wo Potenziale hoch oder gering sind. Dahingehend können Maßnahmen bewusst optimiert oder reduziert werden. Das heißt, dass Budgets fokussierter und sinnvoller eingesetzt werden können.

    Recruiting-Budgets sind nicht ausreichend

    Wie groß kann die Not sein, wenn für das Recruiting kein realistisches Budget da ist? Nahezu jede*r Zweite bemängelt, dass das Recruiting-Budget für die herausfordernde Aufgabe zu gering ist. Über die Hälfte der Unternehmen (56 %) verfügt über bis zu 20.000 € im Jahr. 29 % haben bis zu 50.000 € jährlich zur Verfügung. Fraglich bleibt, was durch dieses Budget abgedeckt werden muss. Bedenken Sie, was es in Gänze kostet und welcher Aufwand betrieben werden muss, um eine Stelle zu besetzen. Dass ca. 4 % kein Geld und 23 % durchschnittlich nur bis zu 500 € nach eigenen Angaben für die Besetzung einer Stelle ausgeben, kann nicht alle Kosten mit einkalkulieren.

    Die Veröffentlichung von Stellenanzeigen in Stellenmärkten und Jobbörsen kann durchaus kostenintensiv sein. Gemäß Umfrage führen diese aber auch zu den meisten Einstellungen. Vor diesem Hintergrund scheinen die Budgets gut investiert, denn idealerweise werden sie für die Maßnahmen verwendet, die die besten Erfolge bringen. Knapp 48 % der Unternehmen haben sogar vor, die Ausgaben für die Stellenanzeigenschaltung gegenüber dem Vorjahr zu erhöhen.

    Quelle: Index Internet und Mediaforschung GmbH | Index Recruiting-Report: Digitalisierung macht den Unterschied 2022 | Juni 2022


    Dennoch ist es Unternehmen angeraten, ganzheitlich zu denken. Schaut man sich die Verteilung der Budgets an, kommen Maßnahmen wie die Employer-Branding-Konzeption oder Karriere-Websites zu kurz. Auch das unter Trendthemen favorisierte Recruiting über Social Media wird nur eingeschränkt mit Budget bedacht.

    Möglicherweise verlassen sich Unternehmen darauf, dass die Stellenanzeige ausreichend überzeugend wirkt und direkt zur Bewerbung führt. Weniger in die Überlegung einbezogen sind Interessierte, die sich über die Stellenanzeige hinaus mithilfe der Website oder von Social Media informieren möchten. Unberücksichtigt bleiben zudem Personen, die noch nicht aktiv auf Jobsuche die Stellenmärkte durchstöbern. Sie müssen erst durch andere Maßnahmen aktiviert und auf neue Jobchancen aufmerksam gemacht werden.

    Status quo und Optimierungspotenziale

    Die Studienergebnisse liefern zweifelsohne spannende Einblicke. Nichtsdestotrotz drängt sich unweigerlich eine Frage auf: Sind Unternehmen im Jahr 2022 für das Recruiting gut genug aufgestellt? Der Eindruck ist durchwachsen. Jedes zweite Unternehmen bewertet das eigene Recruiting als unzureichend. Andere bejahen mit den heutigen Standards im Recruiting mithalten zu können. Doch was meint nun eigentlich konkret Standard? Reicht dieser Standard aus, um beispielsweise Personal für Engpassberufe anzuwerben?

    Recruiting ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die Professionalität verlangt. Wenn jedoch Zuständigkeiten nicht klar und Budgets unzureichend sind, kann die Suche nach passenden Kandidat*innen logischerweise nur mit begrenzten Mitteln erfolgen. Verstehen wir uns nicht falsch: Im Recruiting besteht nicht nur der, der die höchsten Budgets zur Verfügung hat. Arbeitgeber müssen sich aufgeschlossen zeigen und bereit sein, ausgetretene Pfade zu verlassen.

    Ein schönes Beispiel stellte Jo Diercks kürzlich in seinem Blog Recrutainment vor: Das Boomerang Recruiting bzw. Boomerang Hiring der Bedag Informatik AG aus Bern. Wie viele Unternehmen lässt der IT-Dienstleister gute Mitarbeitende nur ungern ziehen. Die Lösung: Ausgewählte Mitarbeitende, die das Unternehmen verlassen, erhalten im Zuge des Offboardings ein „Comeback-Ticket”. Eine Maßnahme, die auf charmante Weise zu verstehen gibt: Du bist hier weiterhin willkommen. Klar, kostet auch diese Maßnahme Geld. Doch was kostet sie im Vergleich zu einem Prozess, in dem passende Talente erst gefunden und komplett neu eingearbeitet werden müssen? Unserer Meinung nach eine gelungene Aktion, die zeigt, wie man im Recruiting weiter- bzw. anders denken kann.

    Zeitgemäßes Recruiting bedeutet nun mal nicht, nach Schema F zu agieren. Es braucht je nach Zielgruppe und Unternehmen unterschiedliche Ansätze. Arbeitgeber ticken nicht gleich, genauso wenig wie es Kandidat*innen tun (übrigens auch nicht, wenn sie einer Generation angehören 😉).

    Zeitgemäßes Recruiting bedeutet auch nicht, einzelne Maßnahmen voneinander losgelöst zu initiieren. Es ist ein Prozess, in dem viele Schritte bestenfalls aufeinander einzahlen, und zwar über das Recruiting hinaus. Denn nachhaltig kann es nur dann sein, wenn ebenso in die Bindung und die Entwicklung von Mitarbeitenden investiert wird. Sonst sind die so mühevoll gewonnenen Arbeitskräfte schnell wieder von Bord.

    Recruiting 2022 bedeutet, die vielen Möglichkeiten zur Personalgewinnung strategisch zu nutzen. Dies kann überfordernd sein, sodass etliche Unternehmen hinter ihren Möglichkeiten bleiben. Zum Vorteil anderer: Wer neugierig und aufgeschlossen ist, analytisch vorgeht und Recruiting als Prozess sieht, kann genau jetzt im Wettbewerb die Nase vorn haben.


    Der Recruiting-Report 2022 ist hier abzurufen:

    Studie zur Bewerber- und Mitarbeitergewinnung



    Titelbild: Unsplash: © Olena Sergienko

    Hinweis: Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird in einzelnen Fällen auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung für alle Geschlechter.

    Tina Schwarze

    ist Ihre Ansprechpartnerin für alle Anfragen rund ums Thema Content. Im Blog schreibt sie vorwiegend zu den Themen Personalmarketing und Employer Branding.

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