Mitarbeiterbindung: Welche Ansätze und Maßnahmen gibt es?
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Das Thema Mitarbeiterbindung rückt leider zumeist erst dann in den Fokus, wenn mehr und mehr leistungsstarke Arbeitnehmende ihre Kündigung verlautbaren und eine Organisation verlassen möchten. So manches Mal werden daraufhin rasch Angebote aus dem Hut gezaubert, die milde umstimmen sollen: ein Positionswechsels, eine Aufstiegsmöglichkeit, eine Gehaltserhöhung oder materielle Anreize. Bei einigen mag dies durchaus fruchten und die Kündigung wird zurückgezogen. Doch löst dies ernsthaft die Defizite, die zur Kündigung geführt haben? Oder wird der Zeitpunkt der Kündigung unter Umständen nur verlagert?
Der Vorbote: Die innere Kündigung
Eine Kündigung ist in den meisten Fällen eine wohlüberlegte Entscheidung. Die Vorteile, die mit dem Verlassen einer Organisation verknüpft werden, überwiegen: Etwa in Form einer neuen Beschäftigung, die die persönlichen Ansprüche und Bedürfnisse eher erfüllt. Möglicherweise dominieren aber auch die wahrgenommenen Nachteile eines Jobs so sehr, dass eine weitere Ausübung der Tätigkeit ausgeschlossen erscheint.
Doch bevor es zur tatsächlichen Kündigung kommt, ist in der Regel eine sogenannte innere Kündigung vorausgegangen. Diese lässt sich an bestimmten Signalen erkennen, z. B. durch
- geringe oder fehlende Eigeninitiative
- nachlassendes Engagement
- abnehmendes Interesse oder Gleichgültigkeit gegenüber Entwicklungen in der Organisation
- geringere Produktivität
- Dienst nach Vorschrift
- höhere Fehlzeiten
- geringere Belastbarkeit
- fehlendes Verantwortungsbewusstsein
- spürbare Distanz zu Kolleg*innen und Vorgesetzten
- zunehmende Negativkritik in Bezug auf die Organisation
Das heißt konkret, bis es zur ausgesprochenen Kündigung kommt, hat längst eine Entwicklung stattgefunden, die über einen gewissen Zeitraum Mitarbeitende emotional distanziert und ihre Leistung beeinträchtigt hat. Eine gute Mitarbeiterbindung hätte dieser Entwicklung gezielt entgegenwirken können.
Was ist Mitarbeiterbindung und was bewirkt sie?
Mitarbeiterbindung bedeutet vereinfacht gesprochen, die Beziehung zu den eigenen Arbeitnehmenden bewusst zu stärken. Denn Mitarbeitende – so die Grundannahme – die sich in ihrem Arbeitsumfeld wohl und wertgeschätzt fühlen, sind eher und länger bereit, eine Organisation mit ihrer Leistung und ihren Ideen zu unterstützen. Nun zielt der Ansatz der Mitarbeiterbindung nicht ausschließlich darauf ab, Kündigungen zu vermeiden. Klar ist es ein wichtiger Punkt, vor allem für Unternehmen, deren Fluktuationsrate hoch ist. Aber die Wirkung ist deutlich vielschichtiger.
Es geht übergeordnet darum, eine Arbeitsumgebung und Rahmenbedingungen auf- und auszubauen, in der Arbeitnehmende gerne, motiviert und produktiv arbeiten. Nicht zu vergessen: Mit einem positiven Ergebnis für Arbeitnehmende und Arbeitgeber gleichermaßen. Denn Mitarbeitende, die sich mit einem Arbeitgeber verbunden fühlen, zeichnen sich u. a. durch diese Aspekte aus:
- eine höhere Leistungs- und Einsatzbereitschaft
- eine höhere Resilienz
- mehr Engagement
- eine höhere Zufriedenheit
- ein höheres Vertrauen
- eine besser Arbeitsqualität und -quantität
- weniger Fehlzeiten
- eine stärkere Identifikation mit dem Arbeitgeber
Mitarbeitende mit einer hohen Bindung zur Organisation haben intern wie extern eine nicht zu unterschätzende Wirkung. Nach außen hin gehören sie zu den überzeugendsten Markenbotschafter*innen eines Unternehmens. Insofern steigert eine erfolgreiche Mitarbeiterbindung auch die Arbeitgeberattraktivität. Nach innen tragen sie zu einem positiven Betriebsklima und einem besseren Zusammenhalt bei. Mitarbeiterbindung ist also nicht nur eine Investition in die Arbeitnehmenden, sondern ebenso in die Organisation.
Die Formen der Mitarbeiterbindung
Eine erfolgreiche Mitarbeiterbindung hängt von diversen Faktoren und Rahmenbedingungen ab und bedarf je nach Organisation einer individuellen Betrachtung. Nicht zuletzt ist die Wirkungskraft der Maßnahmen abhängig von den persönlichen Bedürfnissen, Erwartungen und Wünschen jeder einzelnen Person. Übergeordnet lassen sich jedoch vier Dimensionen der Mitarbeiterbindung bestimmen, die wir uns nachfolgend genauer anschauen:
- emotional
- rational
- normativ
- perspektivisch
Emotionale Mitarbeiterbindung
Die emotionale Bindung entscheidet darüber, inwiefern Mitarbeitende bereit sind, sich durch ihre Leistung für eine Organisation einzubringen. Grundlegend dafür sind z.B. die Übereinstimmung von Wert- und Zielvorstellungen, die Beziehung zu Kolleg*innen sowie die entgegengebrachte Wertschätzung.
Arbeitgeber können bewusst Maßnahmen initiieren, welche die Identifikation mit der Organisation im Inneren stärken, etwa indem sie
- eine klare, wertschätzende Kommunikation pflegen
- eine offene Feedback-Kultur leben
- Mitarbeitende aktiv in Entscheidungsprozesse einbeziehen
- die (interdisziplinäre) Zusammenarbeit der Teams fördern
- Werte und Normen aktiv in den Arbeitsalltag intergieren
- kulturelle Angebote und Teamevents organisieren
- Sozialräume/Begegnungsstätten einrichten
- Jobsicherheit vermitteln
Rationale Mitarbeiterbindung
In diesem Fall entscheiden primär monetäre oder materielle Anreize über die Beziehung zum Arbeitgeber, z. B.
- das Gehalt
- Zusatzleistungen oder Prämien, wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld
- die Arbeitsausstattung
- vermögenswirksame Leistungen
- betriebliche Altersvorsorge
- die finanzielle Beteiligung am Unternehmen
- Mitarbeiterrabatte
- Fahrtkostenzuschüsse, Job-Tickets
Es handelt sich quasi um eine Kosten-Nutzen-Rechnung: Was bekomme ich konkret für meine Arbeitsleistung? Der Gegenwert entscheidet letztlich, inwiefern Arbeitnehmende Einsatz zeigen und Leistung erbringen. Um Mitarbeitende zu halten, lassen sich diese Anreize gezielt verstärken, z. B. durch Gehaltserhöhungen, Bonuszahlungen oder Sachleistungen.
Die resultierende Bindung zum Arbeitgeber ist im Vergleich zu anderen Dimensionen jedoch von eher geringerer Qualität. Eine Prämie bedeutet nicht sofort eine höhere Einsatzbereitschaft und Produktivität – vor allem nicht langfristig betrachtet. In der Regel wird die Kosten-Nutzen-Rechnung im eigenen Interesse optimiert. Das kann u. U. auch in Form eines Jobwechsels erfolgen.
Perspektivische Mitarbeiterbindung
Mitarbeitende, die sich perspektivisch an das Unternehmen gebunden fühlen, möchten sich in und mit der Organisation entwickeln. Beispielsweise, indem sie gezielt gefördert werden, um sich im Unternehmen eine Zukunft aufbauen zu können. Förder- und Nachwuchsprogramme, Weiter- und Fortbildungsangebote, Schulungen oder Zusatzqualifikationen zahlen daher in besonderem Maße auf die Bindung ein.
Motivierend wirken etwa
- die Aussicht auf einen spezialisierten Aufgabenbereich
- die Möglichkeit, Projekt- und Teamverantwortung zu übernehmen
- die Chance auf einen Auslandsaufenthalt
Normative Mitarbeiterbindung
Diese Art der Bindung beruht auf einem hohen innerlichen Verantwortlichkeitsgefühl mit einem starken Selbstwertgefühl. Die Arbeitnehmenden fühlen sich verpflichtet und haben den Eindruck, die Organisation bzw. die Kolleg*innen nicht im Stich lassen zu können.
Zumeist bezieht sich ihr Engagement auf den eigenen und den Tätigkeitsbereich der unmittelbaren Kolleg*innen. Um die Bindung zu intensivieren, können Arbeitgeber dazu beigetragen, dass sich Mitarbeitende stärker untereinander vernetzen. Dienlich kann es ebenso sein, die Fähigkeiten und Kenntnisse durch Fortbildungen weiter auszubauen. Hier zeigen sich Überschneidungen zur emotionalen sowie perspektivischen Mitarbeiterbindung.
HR-Management und Führungskräfte übernehmen eine Schlüsselrolle
Das Thema Mitarbeiterbindung trägt sich über das HR-Management und die Führungskräfte. Dem HR-Management wird die Aufgabe zuteil, Führungskräfte für das Thema zu sensibilisieren, sie zu befähigen und bei der Umsetzung zu begleiten. Genauso werden hier übergeordnet Angebote entwickelt, wie z. B. Gesundheitsförderungsmaßnahmen, betriebliche Altersvorsorge, Kinderbetreuung oder Teamevents, die von allen Mitarbeitenden gleichermaßen in Anspruch genommen werden können.
Mitarbeiterbindung heißt aber vor allem Beziehungspflege – und die funktioniert nun mal sehr individuell. Wie stark die vier genannten Dimensionen bei Mitarbeitenden jeweils wirken, ist von deren individuellen Persönlichkeitseigenschaften abhängig. Während für die eine Kollegin die persönliche Entwicklung im Fokus steht, ist für einen anderen Kollegen ein harmonisches Arbeiten im Team sehr wichtig. Um zielgerichtet die Bindung mit der persönlich stärksten Wirkungskraft zu fördern, sollten daher die Führungskräfte einbezogen werden. Sie kennen ihre Mitarbeitenden am besten und können gemeinsam mit der HR-Abteilung an wirkungsvollen Maßnahmen arbeiten.
Eine gute Personalgewinnung kann eine defizitäre Mitarbeiterbindung nicht ersetzen
Das Thema Mitarbeiterbindung sollte inzwischen bei jeder Organisation auf der Agenda stehen. In Berufen und Branchen, für die der Wettbewerb um Talente ohnehin stark ausgeprägt ist oder der Arbeitsmarkt schlicht keine qualifizierten Fachkräfte anbietet, ist es sogar zwingend erforderlich. Hier ist es unabdingbar, Mitarbeitende zu halten, indem ihre Bindung zum Unternehmen gezielt gestärkt wird.
Selbst eine gute Personalgewinnung wird die Defizite in der Mitarbeiterbindung nicht aufwiegen können. Stellen nachzubesetzen ist mit einem gewissen Aufwand und Kosten verbunden. Bis neue Mitarbeitende eingearbeitet und im Team angekommen sind, sich spezialisiertes Wissen angeeignet haben und voll einsatzfähig sind, braucht es Zeit. Sind es mehr und mehr leistungsstarke Arbeitnehmende, multipliziert sich der Aufwand und ist auf Dauer nicht abbildbar.
Machen wir uns daher bewusst: Nur Arbeitgeber, die kontinuierlich in die Bindung und Motivation der Mitarbeitenden investieren, werden zukünftig leistungs- und wettbewerbsfähig bleiben. Packen wir es an!
Lieber Leser*innen, wir verabschieden uns hier im Blog in eine kurze Sommerpause und sind mit neuen Beiträgen im August zurück.
Titelbild: Unsplash: © Antonino Visalli
Hinweis: Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird in einzelnen Fällen auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung für alle Geschlechter.
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