Defizite im Azubi-Recruiting
Natürlich ist es gerade für Berufseinsteiger nicht einfach: Schüler müssen für sich erst mal den richtigen Beruf finden, dann die Bewerbungs- und Einstellungsphase meistern und Schritt für Schritt im Berufsleben ankommen. Keine Frage, es gibt beliebte und unbeliebte Ausbildungsberufe: Kaufmännische Berufe (Büromanagement, Einzelhandel, Industrie) kommen bei weiblichen Auszubildenden gut an, männliche Auszubildende favorisieren Jobs mit dem Schwerpunkt Mechatronik, Elektronik oder Mechanik. Zumindest belegen das die Angaben des Bundesinstituts für Berufsbildung, die aber auch der Anzahl der zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze geschuldet sein dürften.
Einige Ausbildungsstellen bleiben aufgrund unattraktiver Arbeitszeiten, wie man sie beispielsweise aus dem gastronomischen Bereich oder dem Hotelfach kennt, unbesetzt. Oder es liegt an der auszuübenden Tätigkeit, die junge Menschen nicht sonderlich reizt, etwa die Ausbildung zum/zur Fleischereifachverkäufer/-in. Hier sind Bewerber besonders schwierig zu finden. Man muss schon ordentlich in die Trickkiste greifen, wie damals die Kampagne der Metzgerei Hack bewies.
Defizite analysiert
Die Studie Azubi-Recruiting Trends 2017 hat wiederholt (um genau zu sein, zum fünften Mal) einen direkten Meinungsabgleich von 2.635 Azubi-Bewerbern und Auszubildenden, 903 Ausbildungsverantwortlichen und – dies allerdings erstmalig – 150 Eltern erhoben. Woran liegt es also, dass sich nicht die richtigen Bewerber finden lassen, die Stellen ggf. unbesetzt bleiben oder es zu Ausbildungsabbrüchen kommt?
Eine zentrale Frage ist wohl, wie der ideale Kandidat aussehen sollte. Ist es derjenige mit einem guten Schulabschluss, guten Noten und möglichst vielen fachlich relevanten Vorkenntnissen? Verfügt ein Gymnasiast prinzipiell über eine bessere Eignung als ein Hauptschüler? Ein zentraler Kritikpunkt Ausbildungsverantwortlicher lautet, dass Schulabgänger zu schlecht qualifiziert seien. Lässt sich das anhand des Qualifikationsgrades durchstufen? Vielfach bleiben Hauptschüler nämlich schon vor der Auswahl unberücksichtigt. Eine gezielte Nachqualifizierung ist seitens der Betriebe oftmals nicht vorgesehen oder aus zeitlichen beziehungsweise aus Kostengründen nicht realisierbar.
Potenzielle Azubis erreichen
Es ist eine der zentralen Fragen im Recruiting: Wie erreiche ich meine Zielgruppe? Es gibt viele Antworten, die jeweils ihren eigenen Wahrheitsgehalt haben. Bei den jungen Bewerbern direkt nachgefragt, zeigt sich folgendes Bild:
Die Suchmaschine wird von über 59 % für die Jobsuche genutzt. Knapp 55 % checken direkt auf Karriere-Websites das Angebot und haben wohl schon mal eine grobe Vorstellung, welche Arbeitgeber sie bevorzugen würden. Die Arbeitsagentur ist immer noch gefragte Anlaufstelle – insbesondere deren digitales Angebot wird von 41 % der Befragten abgerufen, 21 % suchen noch ganz klassisch den Rat im Berufsinformationszentrum. Und auch Ausbildungs- und Berufsmessen werden von 36 % der Bewerber zu Orientierungszwecken genutzt.
Anforderungsprofile als Richtwert
Wer sich neu oder erstmalig bewirbt, versucht häufig, den gestellten Anforderungen zumindest weitestgehend zu entsprechen. 19,1 % bewerben sich nur dann, wenn sie mindestens 5 Anforderungen entsprechen. 29,7 % möchten mindestens 4 Anforderungen erfüllen und immerhin 35,8 % versuchen ihr Glück, wenn mindestens 3 Anforderungen mit dem eigenen Profil übereinstimmen. Dabei zeigt sich, dass es Ausbildungsverantwortliche mit den Anforderungen nicht allzu genau nehmen: 61,4 % stimmen zu, dass nicht alle Anforderungen erfüllt sein müssen, für 26,5 % sollten sie „größtenteils“ erfüllt sein. Nur 2,3 % dulden keine Abweichungen.
Sicher wäre an dieser Stelle schon ein Zusatz hilfreich, der vermerkt, dass Bewerber zwar Qualifikation XY mitbringen müssen, um eine Chance zu haben. Alle weiteren Angaben hingegen eine ideale Ergänzung wären oder neudeutsch „Nice-to-have“.
Candidate Journey – eine Odyssee?
Vielfach gleicht der Bewerbungsprozess wohl einer Odyssee. Für einige Bewerber dürfte es gefühlt Jahre dauern, bis sie eine Rückmeldung vom Unternehmen erhalten – sofern denn eine kommt. 45 % der Bewerber und Auszubildenden gaben an, überhaupt kein Feedback erhalten zu haben. Die Angaben der Ausbildungsverantwortlichen zeichnen wiederum ein ganz anderes Bild. Sie geben an, nach spätestens drei Wochen eine Absage zu erteilen.
Die Wahrheit liegt vermutlich dazwischen. Ganz klar ist jedoch, dass Erwartungen und Reaktionen nicht übereinstimmen. Gerade Berufseinsteiger erwarten besonders nervös eine Antwort vom potenziellen Arbeitgeber. Ein Umstand, der gegebenenfalls in der Informationsweitergabe zum Bewerbungs- und Auswahlprozess berücksichtig werden könnte.
Einblicke in und Vorbereitung auf den Berufsalltag erwünscht
Gerade durch das Ausbildungsmarketing sollten Unsicherheiten und Hemmschwellen reduziert werden. Das funktioniert zum einen durch die Vermittlung ausreichender Informationen und zum anderen durch Unternehmenseinblicke. Wer die Chance hat, ins Unternehmen und den Aufgabenbereich hineinzuschnuppern, wird ein deutlich besseres Bild gewinnen und einschätzen können, was ihn erwartet. Das kann durch Praktika, durch Probearbeitstage oder durch einen Tag der offenen Tür erfolgen. Allerdings zeigen sich hier die Ausbildungsbetriebe weniger aufgeschlossen, als von den befragten Azubis gewünscht.
Es scheint – wie so häufig – Nachholbedarf zu geben. Auf der einen Seite bei der praxisbezogenen Qualifizierung von Schülern, auf der anderen Seite beim Entgegenkommen und in puncto Offenheit seitens der Unternehmen. Junge Bewerber müssen auf den Berufseinstieg ausreichend vorbereitet und von den Betrieben abgeholt werden. Abgesehen von Nebenjobs oder den Berufen ihrer Eltern, können Schulabgänger kaum auf persönliche Erfahrungen in der Arbeitswelt zurückgreifen. Vielen Schulabgängern ist erst mal nur bewusst, dass sie auf keinen Fall die Berufe der Eltern ausüben wollen (31 %) beziehungsweise die Erzählungen aus deren Berufsalltag keine Relevanz für die eigene Berufswahl haben (34 %).
Autorin: Tina Kalthöfer
Kommentare