22. Juni 2016 Keine Kommentare

Cultural Fit: Handlungs­defizite trotz hoher Bedeutungseinschätzung [Interview mit Christoph Athanas]

Pressefoto Christoph Athanas

„Es ist wichtig, dass der Bewerber zu uns und unseren Unternehmenswerten passt“. Eine Aussage, die man zuhauf hört, aber bisher kaum zu Ende gedacht wurde. Denn damit Kandidaten wissen, wie Unternehmen ticken, müssen Unternehmen das für sich selbst definieren und vor allem kommunizieren.

Als eines der Top-Themen 2016 wurde im HR-Report 2015/2016 zu Anfang des Jahres die Weiterentwicklung der Unternehmenskultur gehandelt. Die kulturelle Passung von Bewerbern und Unternehmen scheint wichtiger denn je – zumindest im HR-Diskurs. Obgleich dem Thema Unternehmenskultur und der damit einhergehenden Debatte um den Cultural Fit eine große Bedeutung beigemessen wird, fehlt es noch an einer stringenten konzeptionellen Umsetzung.

Neue Studie zum Cultural Fit

Wie gerufen, haben meta HR und Employour kürzlich eine gemeinsame Studie zum Cultural Fit herausgebracht, die genau das Themenfeld in den Fokus nimmt. Eine ideale Gelegenheit, den Studienleiter Christoph Athanas (meta HR) um ein Gespräch zu bitten und zu schauen, wie der aktuelle Stand der Dinge ist.

Interview zur Studie

WESTPRESS: Der Gedanke, dass ein neuer Mitarbeiter idealerweise gut zum Team und Unternehmen passen sollte, ist ja eigentlich nicht ganz neu. Warum wird das Thema Cultural Fit derzeit so heiß diskutiert?

Christoph Athanas: Selbstverständlich spielt die Passung von Kandidaten zum Team und Unternehmen in vielen Fällen schon länger eine Rolle. Doch häufig ist die Überprüfung dieser Passung diffus, wenig definiert und vom Bauchgefühl einzelner geleitet. Außerdem werden insbesondere junge und gut ausgebildete Fachkräfte selbstbewusster und wählerischer. Dies führt dazu, dass diese Arbeitnehmer nicht länger nur irgendeinen Job suchen, der rein fachlich für sie passt, sondern verstärkt nach einer von ihnen bevorzugten Arbeitskultur. Unternehmen nehmen dieses Verlangen ihrerseits vermehrt auf und versuchen sich am Bewerbermarkt über ihre Kultur mehr zu differenzieren, frei nach dem Motto: „Your culture is your brand“. Diese Entwicklungen treiben das Interesse am Cultural Fit an.


WESTPRESS: Nochmal kurz notiert: In welchem (Wechsel-)Verhältnis stehen Cultural Fit, Unternehmenskultur und Employer Brand?

Christoph Athanas: Die gelebte Unternehmenskultur ist die Basis und stellt den Bezugspunkt sowohl für den Cultural Fit von Kandidaten bzw. Mitarbeitern wie auch für die Employer-Brand-Entwicklung dar. Unternehmenskultur selbst ist ein komplexes Phänomen. Nach gängiger Lehrmeinung bestimmt sie maßgeblich das Verhalten der Organisation und ihrer Mitglieder. Über Werte, Normen und Verhaltensrituale gibt sie Orientierung, schafft Identifikation und grenzt positiv von anderen Organisationen ab.

Ein Employer Brand leitet sich zu großen Teilen aus der jeweiligen Unternehmenskultur her. Um wirksam zu sein, muss er attraktiv, unterscheidbar und glaubwürdig daherkommen. Um diese Kriterien zu erfüllen und insbesondere um glaubwürdig zu sein, muss ein Employer Brand in der Unternehmenskultur seine Wurzeln haben. Der Employer Brand kann zusätzlich auch Wunschanteile beinhalten, d.h. er kann Aspekte betonen, für welche das Unternehmen als Arbeitgeber zukünftig mehr stehen mag, um genau auch solche Personen anzuziehen und um die künftige Strategieumsetzung besser zu ermöglichen.

Der Cultural Fit seinerseits ist der Gradmesser für die unternehmenskulturelle Übereinstimmung von Kandidaten bzw. Mitarbeitern und dem Employer Brand. Für die Personalauswahl schafft er die strukturierte Grundlage der Betrachtung dieser Dimension von Kandidatenpassung als Ergänzung zum „Professional Fit“. In der externen Employer-Brand-Kommunikation differenziert der Cultural Fit. Damit fungiert er als Filter und zieht vor allem diejenigen Personen an, welche besser zur aktuellen Unternehmenskultur passen (Supplementary Fit) oder wahlweise zu einem gewissen Anteil zu einer Soll-Kultur passen, sich dabei aber mit der Ist-Kultur genügend gut verbinden können (Complementary Fit).


WESTPRESS: Gemäß der Studie ist das Konzept Cultural Fit für diverse Funktionsbereiche unterschiedlich relevant. Für den Bereich IT und für Azubis gilt zum Beispiel eine geringere Bedeutungseinschätzung. Womit hängt das genau zusammen? Sind ITler einfach faktenorientierter? Sollten Azubis sich nicht auch optimal ins Unternehmen einpassen und eine möglichst hohe Identifikation erreichen können?

Christoph Athanas: Ja, der Cultural Fit wird für unterschiedliche Funktionen als verschieden wichtig angesehen. Insgesamt sagen allerdings auch für IT-Funktionen noch 23 % der befragten Personaler, dass der Cultural Fit wichtig sei, weitere 39 % finden ihn für ITler eher wichtig. Im Vergleich zu anderen Funktionen ist dies jedoch eine geringe Bedeutungseinschätzung. Ähnliches ist auf hohem Niveau auch für Azubis zu beobachten. Ich vermute, dies erklärt sich entweder aus der Not heraus, überhaupt IT-Funktionen besetzt zu bekommen, sei es auch um den Preis einer geringeren unternehmenskulturellen Passung. Oder aber nicht wenige HR-Verantwortliche halten IT-Mitarbeiter für generell weniger kultursensibel. Letzteres sehe ich allerdings genau anders und ich denke, gerade ITlern ist die Unternehmenskultur ziemlich wichtig. Fazit aber: Auch für die Funktionen IT und bei Azubis wird kulturelle Passung überwiegend als bedeutend angesehen.


WESTPRESS: Welche Rolle spielt augenblicklich die Überprüfung des Cultural Fits im Recruiting in den Unternehmen. Was sagt die Studie dazu?

Christoph Athanas:Theoretisch spielt Cultural Fit bereits eine große Rolle. Praktisch jedoch nur eingeschränkt. Das erklärt sich folgendermaßen: In unserer Studie haben wir die Personalverantwortlichen zum einen gebeten, anzugeben, für wie wichtig sie den Cultural Fit ihrer Bewerber/-innen halten und zum anderen dann gefragt, ob sie ein Verfahren zur Überprüfung des Cultural Fits im Einsatz haben. Die Ergebnisse zeigen ein Handlungsdefizit an: Einerseits sagen rund 80 % aller Personaler/-innen, dass in ihrer Personalgewinnung der Cultural Fit wichtig oder eher wichtig sei, andererseits nutzen nur 8,8 % der befragten Unternehmen ein standardisiertes Verfahren zur Cultural-Fit-Erfassung. Weitere 23,6 % der Unternehmen gaben an, ein nicht-standardisiertes Verfahren zur Erfassung der kulturellen Passung zu verwenden. Diese Diskrepanz zwischen der Bedeutungseinschätzung und dem tatsächlichen Einsatz im Recruiting hat uns etwas überrascht.


WESTPRESS: Mit welchen Mitteln/Verfahren lässt sich die kulturelle Passung ermitteln bzw. welche Empfehlung kann man Personalverantwortlichen konkret an die Hand geben?

Christoph Athanas: Grundsätzlich kann man als allererstes sagen, dass Unternehmen sich über die eigene Kultur und Besonderheiten Klarheit verschaffen sollten. Zumindest in der HR sollte eine solche grobe Kulturbeschreibung vorhanden sein. Diese kann Ausgangspunkt für Cultural Fit, aber auch bspw. für Organisationsentwicklung bzw. kulturelle Transformation sein. Neben dieser allgemeinen Beschäftigung mit der eigenen Unternehmenskultur ist es natürlich ratsam, auch ein standardisiertes Verfahren zu nutzen, um den Cultural Fit von Bewerber/-innen messen und ein entsprechendes Matching herbeiführen zu können. Wir, bei meta HR, haben uns damit beschäftigt, wie Unternehmen dies tun können. Herausgekommen ist der Cultural Fit Evalueator. Das ist unser webbasiertes Tool, welches das Cultural-Fit-Profil des Unternehmens mit dem von individuellen Bewerber/-innen überprüft. Es meldet einen Matching-Score zurück und liefert zudem zahlreiche Detailinformationen, worin genau der Match oder Mismatch besteht. Unternehmen können über die so erzeugten Ergebnisse ihre Personalauswahl nach Cultural-Fit-Kriterien klarer und objektiver vornehmen. Darüber hinaus sind die gesammelten Daten zur kulturellen Passung ein hervorragendes Feedback zur eigenen Employer-Brand-Kommunikation. Anders gesprochen: Sie bekommen mit, auf welchen wertmäßigen Wellenlängen ihre Bewerber/-innen liegen und können hierdurch die eigenen Botschaften besser auf gewünschte Zielgruppen abstimmen. Wer mehr erfahren möchte, findet hier mehr Informationen zum Cultural Fit Evalueator oder wende sich bitte direkt an mich.


Lieber Christoph, vielen Dank für die erkenntnisreichen Einblicke!

Tipp: Wer mehr über die Studie und ihre Ergebnisse erfahren möchte, kann diese kostenfrei bei meta HR runterladen.


Über den Autor
Christoph Athanas (*1971) ist Geschäftsführer der meta HR Unternehmensberatung GmbH, anerkannter Recruitingexperte und einer der Pioniere der HR-Bloggerszene (blog.metaHR). Außerdem ist er einer der beiden Begründer der HR BarCamps. Unter seiner Leitung entstand die im Mai 2016 veröffentlichte erste deutschsprachige Cultural Fit-Studie. Seine Kunden berät Christoph darin erfolgreiche, zukunftsfähige Recruitingstrategien zu entwickeln und attraktiv als Arbeitgeber zu sein. Er lebt in Berlin.


Titelbild: © Christoph Athanas

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