Candidate Experience: Wie Arbeitgeber von bewerberorientiertem Recruiting profitieren [Gastbeitrag von Christoph Athanas]
Candidate Experience hat seine Wurzeln im Konzept der Customer Experience, einer cleveren Haltung von Unternehmen ihren Kunden gegenüber. Es fokussiert hierauf: Unternehmen wollen Kunden. Kunden sind begehrt, denn nur, wenn ihr Zuspruch konstant gewonnen wird, kann das Geschäft funktionieren und die Arbeitsplätze sind sicher. Dafür entwerfen jene Unternehmen smarte Kaufprozesse. Die Interessen des Käufers werden ins Zentrum gestellt. In der Umsetzung mündet dies in einer Vielzahl von Maßnahmen, die wir alle schon selbst in der Kundenrolle erlebt haben. Beispiele sind: Dem Kunden wird der Kauf so einfach wie möglich gemacht. Der Kunde wird stets über den Stand seines Auswahl- und Kaufvorgangs informiert und er wird durch alle möglichen Annehmlichkeiten in einen Wohlfühlmodus versetzt. Der Kunde wird nach dem Kauf nach seiner Zufriedenheit gefragt und rundum wertgeschätzt usw.
Wie sieht die Welt vieler Unternehmen im Hinblick auf Fachkräfte aus?
Unternehmen wollen Fachkräfte. Fachkräfte sind begehrt, denn nur, wenn sie sich immer wieder in genügender Anzahl für das Unternehmen entscheiden, können Stellen besetzt und Aufträge erledigt werden. Dann wird Geld verdient und die Arbeitsplätze sind sicher … Die Parallelen zwischen Kunden und Fachkräften (= qualifizierten Bewerbern) sind in jedem Fall vorhanden. Doch wenn man sich das Verhalten von zahlreichen Unternehmen im Hinblick auf ihre Bewerber ansieht, dann sind dort plötzlich nicht mehr so viele Analogien zum Umgang mit Kunden zu erkennen: Statt es Bewerbern leicht zu machen, werden umständliche Online-Bewerbungsformulare aufgeboten, bei denen das Ausfüllen oft eine gefühlte Ewigkeit dauert. Es werden Informationen für Bewerber schwer auffindbar in der vierten plus X Ebene der Webseite versteckt oder hinter kryptischen Jobtiteln verborgen. Es werden keine persönlichen Ansprechpartner für Bewerber genannt und, als Gipfel der inadäquaten Verhaltensweisen seitens solcher Arbeitgeber, bekommen viele Bewerber entweder keine Rückmeldungen auf ihre Bewerbung oder erst nach mehreren Wochen. Schließlich gibt es dann noch die Vorstellungsgespräche, in welchen sich Kandidaten wie Bittsteller behandelt fühlen oder im Verhältnis eins zu vier, fünf oder sechs vor ganzen Komitees sitzen, nur um dort die ewig gleichen fantasielosen Fragen zu hören („Was sind Ihre drei größten Schwächen?“ …).
Die genannten Verhaltensweisen mancher Unternehmen gegenüber Bewerbern wären auch allein für sich genommen schon traurig. Doch richtig relevant wird es erst durch die Dynamik von sozialen Netzwerken und selbstbewussten, gut vernetzten Bewerberinnen und Bewerbern. In der überhaupt ersten wissenschaftlich begleiteten Studie zum Thema Candidate Experience im deutschsprachigen Raum haben Prof. Peter M. Wald (HTWK Leipzig) und ich eine Reihe bemerkenswerter Zusammenhänge rund um die Materie aufgedeckt: Wir haben fast 1.400 einzelne, reale Bewerbungserlebnisse nachvollzogen und auswerten können. Wesentliche Erkenntnisse sind vor allem, dass 4 von 5 Bewerbern über ihre Bewerbungserlebnisse mit Freunden und Bekannten sprechen und rund ein Viertel darüber hinaus auch Arbeitgeberbewertungsportale wie bspw. kununu nutzt. Außerdem ist der Einfluss der finalen Candidate Experience auf das wahrgenommene Arbeitgeberimage groß. Eine positive Candidate Experience steigert bzw. erhält das Arbeitgeberimage aus Sicht der Bewerber, eine negative schädigt es. Soweit klar und zu erwarten. Spannend ist allerdings, dass selbst in den Fällen, wo es im Ergebnis der Bewerbung zu einer Absage gekommen ist, im Mittel die Bewertung des Arbeitgeberimages auf gleichbleibend hohem Niveau liegt, sofern es eine positive Candidate Experience gegeben hat! Damit kann man sagen, eine gute Kandidatenerfahrung fängt die Enttäuschung über den Nicht-Erhalt der Stelle vollständig auf und schützt somit die Reputation des Arbeitgebers.
Ganz im Sinne der Bewerber
Damit es dazu kommen kann, müssen rekrutierende Arbeitgeber vor allem drei Bestandteile der Candidate Experience im Sinne ihrer Bewerber erfüllen:
- Klarheit und Verbindlichkeit in der Bewerberkommunikation schaffen. Dies gilt vor allem im Hinblick auf Anforderungen des jeweiligen Jobs und den Ablauf des Rekrutierungsverfahrens. Diesen zu visualisieren und auf der Karrierewebseite einsehbar zu machen, ist ein Beispiel für eine konsequente Umsetzung dieser Anforderung.
- Ergebnisorientiert handeln, denn jede Bewerbung ist ein zielgerichteter Vorgang. Wenn ein Bewerbungsverfahren zu lange dauert, leidet irgendwann die Kandidatenerfahrung. Das kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass dieser Kandidat abspringt oder in der Zwischenzeit ein anderes Jobangebot annimmt. Außerdem fällt auch die Einfachheit der Bewerbungsvorgänge aus Sicht der Kandidaten in diese Kategorie. Also: Weg mit den (digitalen) Hürden! Die Möglichkeit zur One-Click-Bewerbung zuzulassen, ist bspw. hierzu eine geeignete Gegenmaßnahme.
- Auf Augenhöhe wertschätzend mit dem Bewerber umgehen und zwar in jeder Situation des Bewerbungsprozesses und in allen Formen der Bewerberkommunikation. Das fängt mit ganz einfachen Dingen an, wie bspw. personalisierten E-Mails an die Bewerber, geht über erreichbare, namentlich benannte Ansprechpartner in den Personalabteilungen und mündet in gut vorbereiteten und professionellen Bewerberinterviews, in welchen man als Arbeitgebervertreter eben Bewerber wie liebe Gäste empfängt und nicht wie lästige Bittsteller.
Mangelt es in einer dieser drei Dimensionen, leidet die Candidate Experience insgesamt. Am wichtigsten dabei sind die emotionalen Aspekte und dass die gebotene Experience über den gesamten Recruitingprozess (positiv) konsistent hinweg ist.
Eine positive Candidate Experience stärkt die Arbeitgebermarke
Unternehmen, welche das Thema Candidate Experience ernst nehmen und entsprechend ihre Prozesse und Verhaltensweisen kandidatenorientiert ausrichten, profitieren: Bei bewerberfreundlichen Prozessen gibt es in der Regel weniger Bewerbungsabbrüche. Eine in der Summe positive Candidate Experience stärkt zudem die Arbeitgebermarke und kann sogar eine echte Verbindung zwischen Kandidaten und Arbeitgebermarke schaffen. Das gilt interessanterweise im Durchschnitt sogar für diejenigen Bewerber, welche den angestrebten Job nicht bekommen. Doch statt den Arbeitgeber zu grämen, würden sich 84 % jener abgelehnten Personen wieder bei dem Unternehmen bewerben, da sie eine positive Kandidatenerfahrung hatten. Umgekehrt würden nur 13 % derjenigen erneut eine Bewerbung beim selben Unternehmen in Betracht ziehen, die zuvor eine negative Kandidatenerfahrung hatten. Das ist in jedem Fall eine relevante Größe, wenn man bedenkt, wie häufig man zwei oder sogar mehr gute Kandidaten für nur einen Job in der Endauswahl hat, aber nur eine Stelle besetzen kann. Gern würde man mit den dann zwangsläufig abgelehnten Bewerbern später wieder ins Gespräch kommen. Das Thema Talentpools lässt grüßen.
Tipp: Wer mehr über das Thema erfahren möchte, kann sich die Candidate Experience Studie kostenfrei bei meta HR runterladen.
Über den Autor
Christoph Athanas ist Geschäftsführer der meta HR Unternehmensberatung GmbH, die sich auf Recruiting-Optimierung und den Auf- und Ausbau der Arbeitgeberattraktivität spezialisiert hat. Er ist Autor der Studie Candidate Experience 2014 (gemeinsam mit Prof. Wald), seit 2009 HR-Blogger und zudem Organisator der jährlichen HR-Trendevents HR BarCamp.
Titelbild: © Christoph Athanas
Sehr geehrte Damen und Herren,
hier kann man nur sagen „Applaus“, Sie haben es auf den Punkt gebracht. Althergebrachte und schon so eingeschliffene Sätze wie, wir werden uns in Kürze mit Ihnen in Verbindung setzen, (man hört nie mehr wieder etwas von jenen), sind an der Tagesordnung, keine Antwort auf Bewerbungen zu bekommen sind der Standard, mit ganz wenigen Ausnahmen, der Recruiting-Prozess dauert viele Wochen gar Monate. Sollte sich doch ein Arbeitgeber oder dessen HR herunterlassen und sich bequemen zu einem Telefoninterview oder gar realen Interview, hört man wie hier beschrieben immer wieder die traurigen Sätze….“Wo sehen Sie sich in 5 Jahren, wie wurden Sie auf uns aufmerksam, es wird nach Englischkenntnissen gefragt obwohl man z. B. schon mehrere Jahre in den USA oder gar in Asien gearbeitet hat….usw….manchmal fehlt nur noch die Abfrage nach „Wie lautet der Name des aktuellen Bundespräsidenten“…., der Klassiker findet sich auch schon in den sehr oft, sehr tollen Ausschreibungen, bei denen man auf den ersten Blick feststellen kann, das hat jemand verfasst, der von dieser JD (Jobdescription), keine Ahnung hat und mit dem Satz enden, „Nur geeignete Kandidaten werden benachrichtigt“. Fachkräftemangel? Ehrlich gesagt, ich könnte auch gleich meine Bewerbungsunterlagen dem nächsten Passanten der an meiner Türe vorbeikommt in die Hand drücken, jener würde sich wohl mehr Zeit und vor allem Interesse nehmen als jene die es eigentlich sollten, weil es Ihr Job und vielleicht auch Freude bereiten sollte. Aber genau das Gegenteil ist der Fall, man wird nur von lustlos geschriebenen Ausschreibungen „geködert“, nimmt sich die Zeit und das Ergebnis ist die blanke Enttäuschung. Der objektive Fachkräftemangel ist wohl genau hier begründet. Realistisch sind die Fachkräfte sehr wohl vorhanden, nur nicht bereit, sich diesen Unverschämtheiten seitens der Unternehmen zu stellen. So etwas mutet sich niemand freiwillig zu. Und mit Verlaub, sehr geehrte Unternehmen, die sehr schwülstigen Absagen wie „Wir mussten eine Vorauswahl treffen, leider gehörten Sie nicht dazu, es hat nur um Nuancen gefehlt, nichts desto trotz würden wir gerne Ihre Daten in unser System aufnehmen um bei passender Gelegenheit, erneut mit Ihnen Kontakt aufzunehmen ist einfach nur Lächerlich“. Mal ehrlich, wie oft ist es wohl schon passiert, dass ich ein HR durch sein System gekämpft hat und den passenden Bewerber erneut Kontaktiert hat? Wohl noch nie, hier bleibt zu sagen, es ist ja schon zu viel verlangt, dem Bewerber eine Eingangsbestätigung zukommen zu lassen. Lieber Bewerber, wer diese oder gar noch schlimmere Erfahrungen gemacht hat, sich in den Artikeln, in denen die Unfähigkeit beschrieben wird wieder findet, sollte sich nicht ärgern, ehr dazu beitragen, dass richtiger und realer Fachkräftemangel entsteht und sich lieber einma nicht bewerben, damit dann genau jene die nur „Proforma“ Jammern, wirklich etwas über den „Fachkräftemangel“ zu Jammern haben. Und liebe HR, warum müssen erst solch riesigen Bewerbungsprozesse geschaffen werden, bevor Sie es schaffen, sich mit dem Bewerber überhaupt auseinander zu setzen? Von diesem hohen „Pferd“ müssen Sie nun langsam herunter steigen, aber bitte nicht zu langsam, sonst entgehen Ihnen die besten Kandidaten und Ihnen bleibt am Ende nur noch der Blick ins Gebirge mit dem sprichwörtlichen „Ofenrohr“.
Vielen Dank.
Wir nehmen einen Wandel wahr. Vielfach bestimmen natürlich noch traditionelle Muster die Mitarbeitergewinnung. Dennoch bemühen sich viele Unternehmen um mehr Transparenz im Bewerbungsprozess und um eine bewerberfreundliche Kommunikation. Zugegebenermaßen mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.